Hauskrach bei Unilever: Jetzt zieht Ben & Jerry's vor Gericht

Konzerntochter gegen Konzernmutter: Da bahnt sich ein historischer Justizfall an. Und das wegen des Nahostkonflikts.

6.07.2022
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Sperrzone für Cookie Dough? Strassenszene im Westjordanland   |   Bild: von: Cole Keister on Unsplash
Der Glacéhersteller Ben & Jerry's aus Vermont zieht den Konsumgüterkonzern Unilever aus London vor Gericht. Firma gegen Firma: Solche Prozesse sind bekanntlich business as usual. Aber hier nicht. Denn die Klägerin ist die Tochtergesellschaft der Angeklagten.
Konkret reichte der Verwaltungsrat von Ben&Jerry's beim zuständigen Bezirksgericht in Manhattan Klage dagegen ein, dass Unilever seinen Brand und seine Rechte für den israelischen Markt an einen Franchisenehmer verkauft. Das Gericht soll «die Marke und die gesellschaftliche Integrität sicherstellen, welche Ben & Jerry's seit Jahrzehnten aufgebaut hat», so die Klageschrift.
Das Problem: Ben & Jerry's ist seit seiner Gründung 1978 eine alternativ angehauchte Firma, Firmenmotto: «Peace, Love & Ice Cream». Und in Israel ist der Eiscrème-Hersteller seit 1987 tätig. Doch in den Kreisen, die dem politischen Profil von Ben & Jerry's zuneigen, kam die Firma zuletzt immer mehr unter Druck, weil sie ihre Glacékübeli auch in den besetzten Gebieten oder an israelische Siedler verkaufte.

Plötzlich ging es um Antisemitismus

Was also tun? Im Sommer 2021 beschloss das Management am Hauptsitz in South Burlington, dass man nach dem Auslaufen gewisser Verträge nicht mehr in die West Bank oder nach Ostjerusalem liefern werde.
Das wiederum brachte den Mutterkonzern Unilever in die Bredouille. Denn zum Mutterkonzern von Knorr, Dove oder Magnum gehört seit dem Jahr 2000 auch Ben & Jerry's. Prompt warf die Regierung in Tel Aviv den Eisproduzenten Antisemitismus vor.

Wo beginnt die autonome Zone?

Was die Sache obendrein ökonomisch heikel machte: Laut israelischem Recht dürfte der Lizenznehmer nicht einfach den Verkauf im Westjordanland und in Ostjerusalem einstellen; sondern wenn, dann müsste er den ganzen Markt aufgeben.
Unilever ging also auf Distanz zur Politik seiner Tochterfirma.
Nur: Der Kaufvertrag aus dem Jahr 2000 sah vor, dass der Verwaltungsrat von Ben & Jerry's autonom über die «social mission» des Unternehmens entscheiden darf.
Und als solch eine soziale Mission empfand es das Gremium, Israel zu boykottieren und die Chocolate-Fudge-Brownie- oder Cookie-Dough-Kübel in den jüdischen Siedlungen, auf der West Bank und in Ostjerusalem aus dem Regal zu kippen.

Einfach mal weg damit

Die Konzernleitung von Unilever wiederum erachtet so etwas als Diskriminierung und Zeichen der Intoleranz. «Antisemitismus hat keinen Platz in keiner Gesellschaft», so eine Bemerkung dazu.
Was also tun? Der Kaufvertrag aus dem Jahr 2000 sah ebenfalls vor, dass Unilever über «finanzielle und operationelle» Dinge entscheidet. Die Schlussfolgerung in der Konzernzentrale: Die Lizenz für Ben&Jerry's im Einzugsgebiet von Israel und den besetzten Gebieten wird verkauft, schliesslich ist das eine ziemlich operationelle Sache. Und dann ist Unilever das Problem los.

«Wir sind nicht einverstanden…»

Am 29. Juni 2022 wurde der Deal verkündet: Zwischen Tel Aviv, Jerusalem, Nablus oder Hebron gehört die Marke Ben & Jerry's künftig dem lokalen Lizenznehmer.
Soweit die Exit-Idee. Wenige Stunden folgte via Twitter allerdings schon der hörbare Widerspruch aus Vermont: «Wir sind damit nicht einverstanden», hiess es da zum Beispiel. Und weiter: «Wir glauben weiterhin, dass es nicht im Einklang ist mit den Werten von Ben & Jerry's, dass unser Eis in den israelisch besetzten Gebieten verkauft wird.»
Und jetzt der nächste Schritt. Das Management des Eis-Produzenten meint es definitiv ernst: Jetzt muss ein Gericht offiziell klären, wo die «social mission» eines Unternehmens aufhört und wo die «financial and operational» Ebene beginnt.
Wie der Wirtschaftssender CNBC berichtet, lehnte ein Richter am Dienstag den Antrag von Ben & Jerry's auf eine einstweilige Verfügung ab, forderte Unilever jedoch auf, bis zum 14. Juli 2022 Gründe vorzulegen, warum solch eine provisorischer Verkaufsstopp nicht erlassen werden sollte.
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