Darf man Billig-Mode kopieren und TEUER verkaufen?

In einem schrägen Copyright-Fall stellt sich der Moderiese Inditex selber an den Pranger. Der Fall birgt starken marken- und werberechtlichen Zündstoff.

11.01.2023
image
Vorher – nachher: Hose in Webshop von Zara und von Thilikó  |  aus der Klageschrift / H/T «Fashion Law».
Kaum sind die Feiertage vorbei, geht es schon los mit dem vielleicht witzigsten Rechts- und Copyright-Fall des Jahres. Er läuft vor einem Bundesdistrikt-Gericht in New York. Dort hat der spanische Modegigant Inditex ein bislang eher unbekanntes Modelabel namens Thilikó verklagt.
Der Vorwurf: Thilikó habe in über dreissig Fällen Mode-Entwürfe von Zara übernommen und als eigene ausgegeben.
Eigenartig daran ist, dass Thilikó – eine Firma mit Sitz in Los Angeles – die Fast-Fashion-Ware nicht etwa günstiger anbot, sondern sie massiv aufwertete. Statt für 49.90 Dollar wurde ein Kleid einfach für 328 Dollar angeschrieben. Und die Zara-Hose für 59.90 Dollar gab es bei Thilikó für solide 258 Dollar. Einfach mit anderem Label.
  • Der Fall: United States District Court, Southern District of New York, 1:23-cv-00047, Industria de Diseo Textil, S.A. et al v. Thilik, LLC et al.
Natürlich läuten da einige Glocken der Erinnerung. Zara wurde immer wieder mal der Vorwurf gemacht, Designer-Stücke, Haute-Couture-Mode, Subkultur-Looks, Entwürfe von kleinen Künstlern oder von interessanten Völkern aus aller Welt abzukupfern und im Massengeschäft weiterzuverwenden (Beispiel, Beispiel, Beispiel, Beispiel, Beispiele).
Nun also kommt eine Designerin – die Chefin von Thilikó heisst Queenie Williams – und veredelt Zara-Kleider, zumindest beim Preisschild, und tut so, also ob die Massenware des spanischen Weltkonzerns eigentlich aus einer erlesenen Boutique entstammt.
image
Screenshot: Homepage von Thilikó.
Dass es um die Botschaft geht, ist offensichtlich. Denn Queenie Williams beziehungsweise Thilikó machte gar kein Geheimnis darum, dass sie sich als Copycat aufspielt: Sie übernahm gleich auch die Bilder (und die Darstellung) der Angebote von Zara Online. Geändert wurde einfach das Label – und der Preis.
Was Inditex nun auch zum Vorwurf bringt, dass Thilikó zugleich die Foto-Copyrights verletzt habe.
image
Screenshot: Homepage von Zara.com
Das alles ist nicht einfach nur skurril – da steckt mehr dahinter. Das Fachorgan «Fashionista» vermutet sogar, dass hier 2023 ein entscheidender Prozess für die Modebranche ansteht: «The case poses an almost existential question for the fashion industry.»
Denn womöglich wurden dem Mode-Riesen da gleich mehrere Fallen gestellt.
Es geht vielleicht nicht nur darum, das Abkupfern der Fast-Fashion-Firmen anzuprangern. Und es geht nicht nur um den so genannten «Streisand-Effekt», bei dem eine Sache weltweit bekannt wird, indem ein Unternehmen versucht, diese Sache zu stoppen.

«Verantwortungsvolle Produktion»

Sondern es geht auch um die Selbstdarstellung der Branche – Stichwort: «Greenwashing».
Denn Thilikó betont auf seinen Seiten fast schon exzessiv, dass es ein sauberes Geschäft ist. Die Firma breitet seitenweise ihr «Engagement für verantwortungsvolle Produktion» aus, die Texte lesen sich wie eine Karikatur woke-kapitalistischer Hochglanz-Prospekte: «Die Kollektionen erforschen unsere tiefe Wertschätzung und unseren Respekt für die Natur, die Gemeinschaft und die Welt um uns herum. Unsere Materialien werden wegen ihrer geringen Umweltbelastung ausgewählt, während Handwerk und Herstellung geprägt sind von einer einzigartigen Mischung aus traditioneller und zeitgenössischer Kultur.»
image
Woke-Prospekt: Screenshot Thiliko.
Was aber sagen die Inditex-Anwälte dazu? Sie warnen. Mit solchen Sprüchen würden die Kunden hinters Licht geführt, so die Argumentation.
Ein genauerer Blick offenbare, dass «nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein könnte», so die Kläger.

Wo beginnt die Unwahrheit?

Thilikós Falschaussagen beträfen «Angelegenheiten von grundlegender und wesentlicher Bedeutung für die Konsumenten – über die Herkunft, den Hersteller und den Designer des Produkts sowie über die soziale Verantwortung des Verkäufers.»
Also alles falsch?
Das Problem dabei: Wenn Zara das sagt, dann muss Zara es ja wissen. Denn der Fall dreht sich ja um seine eigenen Produkte.
Die Klage wurde erst vor wenigen Tagen – am 5. Januar 2023 – eingereicht. Viele Fragen stellen sich, inbesondere jene nach der Argumentation der Beklagten.
Doch mit all ihren Facetten könnte sich die Provokation, wenn sie denn auch wirklich behandelt wird, sich zu einem der meistbeachteten Copyright-Prozesse der Branche auswachsen.

  • non-food
  • industrie
  • marketing
  • bekleidung
  • esg
Artikel teilen

Loading

Comment

Home Delivery
1 x pro Woche. Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Auch interessant

image

Zucker- und Junk-Food-Steuern stossen auf breite Ablehnung

Allerdings: Die Ablehnung in der Schweiz ist deutlich weniger breit als noch vor Kurzem…

image

Hero plant Schliessung des Werks in Lenzburg

Ein Konsultationsverfahren wurde eingeleitet. Etwa 55 Angestellte wären betroffen.

image

Produktentwicklung: KI ist besser als der Mensch – viel besser

Eine US-Business-School verglich die Entwicklung von Produktideen durch Menschen und durch ChatGPT. Das Resultat war sonnenklar.

image

Migros-Tochter Tegut kommt bei Kunden gut an

Der deutsche Retailer mit grossem Bio-Angebot erreicht in zwei Befragungen Spitzenplätze als beliebtester Supermarkt und für sein Obst- und Gemüseangebot.

image

Coop bündelt Nutrition unter der Regalmarke Vivavita

Der Detailhändler führt den Brand ein, um der Kundschaft den Einkauf von Vitaminpräparaten und Nahrungsergänzungsmitteln zu erleichtern.

image

Orior erwartet Umsatz-Wachstum bis 6,5 Prozent

Die Expansion der Food- & Gastro-Gruppe verläuft im geplanten Rahmen. Die Rentabilität ist momentan etwas unter Druck.