Auf Greenwashing folgt jetzt Greencooking

In der Food-Industrie läuft ein eigenartiger Wettlauf: Immer mehr «plant-based», überall raffinierte Natürlichkeit. Aber das heisst: Immer mehr verarbeitete Produkte.

3.02.2023
letzte Aktualisierung: 16.02.2024
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So ensteht Gutes (Essen) | Bild von: on Unsplash
Eigentlich ist es ganz einfach: Gesunde Ernährung kommt von frischen Lebensmitteln. Gemüse, Früchte, Getreide, Nüsse, Hülsenfrüchte, Kräuter. Gern auch etwas Reis, Pasta, Öl, Butter, Eier, Milch, Gewürze. Fleisch hie und da schadet bekanntlich auch nicht.
Dazu ein Rüstmesser, ein Brett – schnipseln und hacken. Eine Pfanne, ein Topf, ein Löffel, immer schön umrühren. Und schon ist die gesunde Nahrung auf dem Teller.
Einmal mehr Gelb und Rot, dann Grün und Braun. Süss-sauer-scharf-bitter-salzig. Und natürlich Umami.

Gut schmecken, gut tun

Liest man heute, was uns die Hersteller von verarbeiteten Lebensmitteln vorsetzen möchten, kommt man glatt ins Staunen: «Die Dinge, die wir essen, sollten nicht nur gut schmecken, sondern auch Gutes tun. Deshalb arbeiten wir ständig daran, dass jede unserer Lebensmittelmarken gut schmeckt, sich gut anfühlt und eine Kraft für das Gute ist.»
Hoppla! Das könnte auch als Kalenderspruch eines bio-dynamischen Lieferdienstes durchgehen. Es stammt aber aus der Marketingküche von: Unilever.
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Unilever-Lebensmittel | Bild: PD Unilever
Auf einer Folgeseite kommt die Auflösung: «Wir bauen unser Geschäft aus, indem wir gesündere und pflanzliche Lebensmittel für alle zugänglich machen.»
«Um sicherzustellen, dass die Verbraucher überall Zugang zu unseren Produkten haben, denken wir ständig darüber nach, wie wir schmackhaftere und gesündere Produkte herstellen können, die sich jeder leisten kann.»
Klingt weniger poetisch, läuft aber in dieselbe Richtung: Die Foodfabriken der Konzerne liefern immer noch gluschtigere und vor allem gesündere Lebensmittel. (Quelle: Nestlé-Website unter dem Stichwort sustainability/nutrition-health/balanced-diet.)

Keineswegs ungesund

Um mich nicht falsch zu verstehen: Ich bin überzeugt, dass die Lebensmittelhersteller tatsächlich nach weniger fetten, süssen und einseitig zusammengesetzten Produkten suchen.
Ihr Sortiment ist keineswegs a priori ungesund. Wer mag nicht zwischendurch eine Fertigpizza von Buitoni (Nestlé) oder Päcklirisotto von Knorr (Unilever)?
Doch hier spricht die Food-Industrie. Und wer sich hauptsächlich im Regal mit industriell hoch verarbeiteten Lebensmitteln bedient, wird schwerlich auf gesunde und gleichzeitig erschwingliche Kost treffen.
Wie gesagt: Am einfachsten führt der gesunde Weg zum Markt mit Frischprodukten und danach in die Küche. Das ist gesund, schmackhaft und macht dank dampfenden Töpfen auch Freude (Stichworte: Wellness, seelische Gesundheit).

Aus Pflanzen und aus der Maschine

Plant based ist heute ein neues Zauberwort der Lebensmittel-Industrie. Pflanzenbasiert. Die wohl natürlichsten Varianten der industriell hergestellten Pseudoschnitzel und -köttbullar kommen aus dem Kanton Zürich, vom Unternehmen Planted Foods. Es schreibt dieser Tage zurecht auf Plakaten: «Iss nichts, was Du nicht aussprechen kannst.»
Ja, was isst man denn da? Erbsen, Sonnenblumen, Hafer, Rapsöl, Wasser und Vitamin B12, so die aussprechbare Zutatenliste von Planted. Allerdings in verwursteter Form. Und hoch verarbeitet.
Dass hoch verarbeitete Lebensmittel nicht unbedingt zu den gesundesten gehören, ist heute bekannt (hier, hier, hier). Es kommt natürlich auf die Menge an, die verspeist wird. Dennoch: Vielleicht sollten die Produzenten solcher Produkte den Mund nicht ganz so voll nehmen – in Sachen Gesundheitsförderung.

Der Gesundheitsweisheit letzter Schluss?

2022 war das Jahr der ersten kritischen Berichte zum Fleischersatz der Industrie (hier, hier). Nicht dass ein pflanzenbasiertes Plätzli oder ein Lupinenwürstchen ein gesundheitliches Problem wären. Aber sind sie der Gesundheitsweisheit letzter Schluss?
Liebe Konzerne, liebe Plantbased-Startups, ein kleiner Tipp: Wer heute stetig, verblümt oder unverblümt auf das Gesundheitspotenzial seiner industriell verarbeiteten Produkte hinweist, könnte morgen schon des Greencookings* beschuldigt werden. (*Greencooking, das: Derivativ von Greenwashing).
Das wollen wir nicht. Denn wie gesagt: Ich zumindest werde auch in Zukunft Fertiglasagnen, Fritten und Rahmglacé geniessen. Aber keinen Moment glauben, dass sie wahnsinnig gesund wären. Oder gesund sein sollten. Oder besser schmecken, weil sie jetzt gesünder wären.
«Der Weg zur Gesundheit führt durch die Küche, nicht durch die Apotheke», meinte vor 150 Jahren der Gesundheitspriester Sebastian Kneipp. Heute würde er hinzufügen: «Und ebensowenig durch die Fabrik».
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