Entgingen Schweizer Händlern bereits über eine Milliarde Franken wegen Temu?

Die Unternehmensberatung Carpathia hat hochgerechnet, wie viel Umsatz 2023 an die chinesische Plattform abfloss. Politik und Wirtschaft verlangen Massnahmen.

8.04.2024
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Billig, noch billiger, zeitlich begrenzt: Temu-Homepage für die Schweiz  |  Screenshot
Erst im März 2023 trat das chinesische Online-Billigwarenhaus Temu in den Schweizer Markt ein – und grub innert kürzester Zeit den hiesigen Händler viel Wasser ab. Carpathia, die Schweizer Unternehmensberatung für E-Business und E-Commerce, hat nun eine Schätzung dazu veröffentlicht: Danach generierte Temu in den neun Monaten 2023 Umsätze von 350 Millionen Franken.
Um die gesamte Dimension zu erfassen, wie viel theoretischer Umsatz Schweizer Händler an Temu verloren, müssten die Umsätze «aufgrund der Ultrabilligpreise sicher mit Faktor 3 bis 5 multipliziert werden», schreiben die Carpathia-Analysten.

Keine Chance gegen Dumpingpreise

Zur Veranschaulichung verglich Carpathia Schweizer und Temu-Preise besonders beliebter Produkte in verschiedenen Warengruppen. So kostete eine praktisch identische «Stimmungs-Tischlampe» bei einem Schweizer Händler heruntergesetzt 29.95 statt 54.95 Franken, bei Temu waren es 7.59 Franken.
Eine No-Name-Ladestation war bei 61.90 Franken im Schweizer Handel, bei Temu wurde sie für 12.39 angeboten. Und bei einem wasserdichten Reparaturklebeband war das Verhältnis 16.90 zu 2.78 Franken.
Carpathia weisst darauf hin, man habe explizit nicht die Qualität, sondern rein nur die Optik verglichen – und man wolle «dezidiert nicht die Preisgestaltung von Schweizer Händlern gegenüber Temu ausspielen.»

Theoretische Preise, reale Bedrohung

Der Preisvergleich von Carpathia basiert auf theoretischen Annahmen. Die Umsatzeinbussen aber sind real – und Grund zur Sorge.
Während bis vor kurzem noch heftig Schweizer Einkaufstourismus in Deutschland angeprangert wurde, dreht nun der Wind. Politik und Wirtschaft fordern Sanktionen gegen die Flutung mit chinesischen Billigprodukten. Denn klar ist: Appelle an die Konsumenten verpuffen.
Die USA und die Europäische Kommission drohten China bereits Konsequenzen an, weil die eigene Industrie durch unlauteren Wettbewerb untergraben werde. Frankreich plant eine Steuer für Fast Fashion, und in der Schweiz weisen die Swiss Retail Federation und der Schweizerische Handelsverband wiederholt darauf hin, dass Temu – und alle anderen chinesischen Shopping-Portale – weder Mehrwertsteuer noch Zoll auf ihre Waren entrichten müssen.
Der Trick: Bestellungen werden in kleinen Paketen unter 300 Franken Zollwert verschickt.
Obendrein kontrolliert niemand, ob die Produkte hiesige Sicherheitsstandards erfüllen.

Politiker wollen Antworten

Auch in der Politik gibt es erste Vorstösse. Etwa die Anfrage der Grünliberalen Ständerätin Tiana Moser an den Bundesrat, wie er der wachsenden Bedeutung der chinesischen Shopping-Portale begegnen wolle. Im Nationalrat erkundigte sich Mitte-Politiker Benjamin Roduit, was gegen importiertes Spielzeug unternommen werde, das die Gesundheit von Kindern gefährde.
Die Gründe für den rasanten Erfolg von Temu und Co. fasst Carpathia so zusammen:
  • Grosses Sortiment, extrem günstigen Preise.
  • Gut funktionierende Mobile App mit penetranter Gamification und hohem Suchtfaktor.
  • Massiver Marketingspend bei Meta (USD 2 Mrd. im 2023) und Google.
  • Tiefe Mindestwarenkorbgrösse für kostenlose Lieferung.
  • Lieferung innerhalb von 5-13 Werktagen.
  • Länder-/marktspezifische Ausrichtung in Marketing, Sortimentsausspielung, Logistik und Zahlungsmöglichkeiten.
Carpathia weiss darauf hin, man habe mit dem Preisvergleich lediglich die Kundensicht aufzeigen wollen. Aber Schweizer Händler sollten sich wappnen und Differenzierungs- und Erklärungsstrategien bereithalten, «für den Fall, dass Temu nicht als vorübergehendes Kurz-Phänomen schon bald wieder verpufft, sondern gekommen ist, um zu bleiben.»
  • e-commerce
  • non-food
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