Fettleibigkeit: Sind Aromen der nächste Zucker?
Ein Überblick des wissenschaftlichen Forschungsstandes nährt die These, dass Aromastoffe den Trend zum Übergewicht begünstigen können.
1.12.2022Bild von: on UnsplashTragen industriell hergestellte Geschmacksstoffe zur grassierenden Fettleibigkeit bei? Deutsche Forscher haben die wissenschaftlichen Publikationen zum Thema aufgearbeitet und den aktuellen Stand der Erkenntnisse erfasst. Und dabei zeigt sich: Tatsächlich könnten Aromen, die Lebensmitteln beigefügt werden, den Trend zum Übergewicht fördern, der in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern zu beobachten ist.
Zwei Mechanismen
Der Text von Nathalie Neumann und Mathias Fasshauer, Professor für Ernährung des Menschen an der Universität Giessen, schält zwei Mechanismen heraus, wie zugesetzte Aromen die Ernährungsweise der Menschen negativ beeinflussen könnten:
1. Sie fördern eine «hedonistische» Ernährung.
2. Sie stören das Geschmacks-Nährstoff-Lernen.
«Hedonistisch» ernährt man sich, wenn die so genannte «homöstatische Kontrolle» ausser Kraft gesetzt wird. Das heisst, man vertilgt zu viel, weil das Essen zum reinen Vergnügen wird und nicht mehr einfach der Nahrungsaufnahme dient.
- Nathalie Judith Neumann, Mathias Fasshauer: «Added flavors: potential contributors to body weight gain and obesity?», in: «BMC Medical», November 2022. doi.org/10.1186/s12916-022-02619-3
Was bei gutem Essen üblich ist, wird laut einigen wissenschaftlichen Studien von zugesetzten Aromen über die Gebühr gefördert.
Das heisst: Beigefügte Geschmacksstoffe können den Menschen dazu verleiten, nochmals zusätzliche und unnötige Kalorien zu sich zu nehmen.
Geschmack gibt Gefühl für Nahrhaftigkeit
Die zweite These besagt: Zugesetzte Aromen könnten zu übermässigem Essen und Gewichtszunahme führen, indem sie das «Geschmacks-Nährstoff-Lernen» (flavor-nutrient learning) stören und die Fähigkeit beeinträchtigen, die Nahrhaftigkeit eines Lebensmittels korrekt vorherzusagen.
Konkret: Kinder können keine Fähigkeit entwickeln, aufgrund des Geschmacks eines Lebensmittel zu erkennen, wie viel Nährstoffe es enthält. Denn ansonsten lernt der Mensch mittels der natürlich vorhandenen Aromen in Speisen mit der Zeit, deren Nährgehalt einzuschätzen.
Zutatenliste auf Marshmallows-Packung | Bild: openfoodfacts.org / Share Alike Creative Commons
Schmecken aromatisierte Lebensmitteln mit unterschiedlichem Nährgehalt genau gleich (was bei künstlichen Aromen oft der Fall ist), wird diese Fähigkeit gestört. Folge: Man isst tendenziell mehr, als nötig wäre.
Aromen: Auch Tiere essen mehr
Zur Bestätigung dieser Argumente weisen die Autoren auch auf Studien zu aromatisiertem Viehfutter hin, wie es in der Tiermast verwendet wird. Diese zeigten teilweise, dass Tiere mehr zu sich nähmen, wenn dem Futter Aroma beigefügt worden war.
Für Mathias Fasshauer steht – wie er gegenüber Konsider bestätigt – nach der Auswertung der vorhandenen wissenschaftlichen Studien fest: «Die im Artikel dargestellten mechanistischen und tierexperimentellen Daten unterstützen nachdrücklich die Hypothese, dass hinzugefügte Aromen einen wichtigen Beitrag zur vermehrten Fettleibigkeit der Menschen leisten.»
Das Paper schliesst mit dem Fazit, dass es heute «nur indirekte Hinweise darauf» gebe, «dass zugesetzte Aromen zu Fettleibigkeit beim Menschen beitragen könnten». Es brauche deshalb dringend Studien, welche die Wissenslücken schliessen könnten.
Zudem sollte es klarer deklariert werden, wenn ein Nahrungsmittel beigefügte Aromen enthält.
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