Klein und von hier: Warum Firmen in der Schweiz als nachhaltig gelten

Victorinox, Ricola, V-Zug, Zurich: Unternehmen, die helvetisch klingen und nicht zu mächtig erscheinen, werden eher als nachhaltig wahrgenommen.

23.08.2023
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Die Marke Victorinox wird als besonders nachhaltig wahrgenommen. Warum wohl? Bild: Denise Jans on Unsplash von: on Unsplash
Victorinox, Ricola, V-Zug und helvetische Versicherungen: Sie sind in den Augen der hiesigen Bevölkerung die Nachhaltigkeitshelden der Wirtschaft. Das besagt jedenfalls der neue «Scopes Report» der Universität St. Gallen und des Kommuikationsunternehmens Publicis Groupe.
Ganz am Ende der Rangliste der Zuschreibung von Nachhaltigkeit – sozusagen in der Image-Hölle – erscheinen die Food-Brands Nestlé, Ferrero, Unilever, Coca-Cola und Danone. Einzig die Credit Suisse und (chinesische) Onlinehändler werden schlechter bewertet.
Scopes-Studie: Wie kommuniziert man Nachhaltigkeit
Wie beurteilen die Schweizer Bürgerinnen und Bürger die Nachhaltigkeit der Unternehmen in ihrem Land? Und vor welchen Herausforderungen stehen die Nachhaltigkeitsexperten dieser Unternehmen? Das sind die beiden Hauptfragen, die von der Studie «Scopes» (steht für: Swiss Consumer Perception of Sustainability) beantwortet werden sollen. Sie entstand in Zusammenarbeit der Publicis Groupe Switzerland, der Beratungsfirma Grownate und den Instituten für Marketing und Customer Insight sowie für Wirtschaft und Ökologie an der Universität St.Gallen (HSG).
Der Bericht enthält Ergebnisse einer quantitativen und einer qualitativen Befragung. Der quantitative Teil stützt sich auf eine Umfrage unter 5'555 Schweizer Konsumenten.
Zum Scope-Bericht.
Wie kommt es, dass die über 5'000 befragten Schweizer zum Beispiel Victorinox als besonders nachhaltig taxieren?
Und warum ist etwa Nestlé in Sachen Nachhaltigkeit eines der Schlusslichter in der öffentlichen Wahrnehmung?
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«Scopes»-Rangliste in puncto Nachhaltigkeit: Klassische Marken gelten als top | Quelle: «Scopes»-Studie
Besonders rätselhaft erscheint dies ja, weil Nestlé soeben in einer internationalen Studie erneut zum wertvollsten Food-Brand der Welt gekürt – und zwar gerade auch wegen des guten Images, den der Konzern in Sachen Nachhaltigkeit hat. Die entsprechende Brand-Finance-Studie basierte auf den Einschätzungen von 150'000 Konsumentinnen und Konsumenten in 38 Ländern.
Warum Herr und Frau Schweizer gegenüber Nestlé kritischer sind, scheint nicht ganz einfach zu beantworten. Denn eigentlich glauben die Analysten von Publicis und der Uni St. Gallen, dass sich «Swissness» grundsätzlich positiv auf die wahrgenommene Nachhaltigkeit eines Unternehmens auswirke – ganz besonders bei älteren Befragten.
Dass dies für das urhelvetische Unternehmen Nestlé nicht gilt, hat laut den Autoren wohl mit anderen Faktoren zu tun: mit den Skandalen der Vergangenheit sowie – ganz schlicht – mit der gewaltigen Grösse des Unternehmens.
«Schlüsselereignisse können langfristige Überstrahleffekte auf die Nachhaltigkeitswahrnehmung eines Unternehmens haben (Credit Suisse, Ferrero, Nestlé)», folgern die Autoren der Studie. Zudem: «Die wahrgenommene Nachhaltigkeit geht deutlich mit dem positiven oder negativen Gesamteindruck eines Unternehmens einher.»
Soll heissen: Ist das Image mal im Keller, nimmt man den Firmen auch ihre Bestrebungen für die Nachhaltigkeit kaum mehr ab.
Dazu kommt: «Die Branche beeinflusst die Nachhaltigkeitswahrnehmung stark.» Nur Chemie/Pharma und die notorischen Onlinehändler schneiden beim Image schlechter ab als die Lebensmittel- und Getränkebranche. Folglich zieht der gesamthaft eher trübe Eindruck dieses Wirtschaftssegments auch die dazugehörigen Brands wie Nestlé, Ferrero, Unilever, Coca-Cola und Danone mit nach unten.
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Rangliste zur «Branchenwahrnehmung und Nachhaltigkeit» | Quelle: «Scopes»-Studie
Ein Fazit der Studie lautet also: Konzerne, die in «umstrittenen» Branchen tätig sind, werden generell als weniger nachhaltig wahrgenommen – egal ob diese subjektive Einschätzung einer objektiveren Beurteilung standhält oder nicht.
Dass Nestlé nicht durchwegs schlecht abschneidet, zeigen die Antworten auf eine ungestützte Frage: «Welche Namen kommen Ihnen als erste in den Sinn, wenn sie nach einem nachhaltigen Unternehmen gefragt werden?» Hier landet Nestlé gleich hinter Migros und Coop auf Platz 3 – und zwar dank der überwiegenden Unterstützung der Befragten in der Romandie.
Man könnte spekulieren: Läge der Hauptsitz von Nestlé im Kanton Schwyz, hätte der Konzern vom Genfersee im Gesamtvergleich vielleicht besser abgeschnitten.
Für die Nachhaltigkeitskommunikation haben die Ergebnisse der qualitativen Umfrage einige Implikationen: Selbst grosse Anstrengungen in Sachen Nachhaltigkeit sind den Konsumenten nur schwer zu vermitteln. Alte negative Einschätzungen sind gerade für Konzerne im Bereich Konsumgüter schwer auszuradieren. Und wer den Mund zu voll nimmt oder auf die falschen Themen setzt, kann schnell in den Verdacht des Greenwashing geraten.

Handlungshilfen für Unternehmen

Doch die Autoren haben auch einige – wenn auch selten neue oder spektakuläre – Anregungen für die Kommunikation der Nachhaltigkeitsabteilungen in den Unternehmen.
  • Das Wissen der Konsumenten über Nachhaltigkeit könne verbessert werden, indem sie über die wichtigsten Auswirkungen von Konsum und Produktion in der jeweiligen Branche informiert werden. Das kann etwa via Werbekampagnen, Dialog-Veranstaltungen, die sozialen Medien geschehen.
  • Grössere Unternehmen sollten ihre grössere Effizienz erläutern, etwa bei Produktionsprozessen oder im Transportwesen. Auch dass sie (zwangsläufig) grössere Investitionen für die Nachhaltigkeit tätigen als andere, kann in der Kommunikation betont werden.
  • Um die breite Masse zu erreichen, sollen leicht erkennbare Kennzahlen und Vergleichswerte verwendet werden.
  • Emotionen sollten nur «wohldosiert» eingesetzt werden.
  • Da einer klaren Mehrheit die ökologische Nachhaltigkeit am wichtigsten ist, könnte in der Kommunikation dieser Aspekt gegenüber sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit bevorzugt werden. Topthema hier: Recycling.
  • Partnerschaften mit etablierten NGOs und externen Experten helfen ebenfalls.
  • Ein langfristiges Engagement für das Thema Nachhaltigkeit drücke «die Ernsthaftigkeit des Engagements aus». Unternehmen sollten keine Angst vor «Wiederholungen» in ihrer Kommunikation haben, sondern diese formal variieren.
  • Eine «klare und selbstbewusste» Sprache helfe in der Nachhaltigkeitskommuikation, um vertrauenswürdig zu wirken. Beispiel: «Wir reduzieren unseren CO2-Ausstoss jedes Jahr um (...) Tonnen an Emissionen» statt «Wir versuchen, unseren CO2-Ausstoss zu reduzieren.»
  • Also: keine Versprechen und Hoffnungen, sondern Fakten. Grundsätzlich gilt: Je greifbarer, desto besser.
  • Die Gefahr von Greenwashing kann ein Unternehmen verringern, wenn es exakt und verständlich erläutere, wo das Unternehmen auf seinem Weg zur Nachhaltigkeit stehe und welche Praktiken es anwende, um seine Ziele zu erreichen.
  • marketing
  • non-food
  • food
  • esg
  • nestlé
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