Metzgerei-Riese Tönnies startet Schweizer Ableger

Der Milliardenkonzern gründet im Kanton St. Gallen eine Firma zum Vertrieb. Und allenfalls zum Betrieb von Zweigniederlassungen.

19.08.2022
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Präsident in der Schweiz: Clemens Tönnies (r.)   |   Bild: PD
Tönnies ist in Deutschland allen ein Begriff: Das Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen ist der grösste Fleischverarbeiter der Bundesrepublik. Nun startet der Familienkonzern einen Ableger in der Schweiz und gründete die Tönnies Schweiz AG. Firmensitz ist Azmoos im Kanton St. Gallen.
Das Unternehmen bezweckt den Vertrieb von «Fleischerzeugnissen, Lebensmitteln und Convenience-Produkten». Der Handelsregister-Eintrag sieht zudem vor, dass die Tönnies Schweiz AG Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften im In- und Ausland errichten kann.
Tönnies arbeitet dabei mit der Beratungs- und Beschaffungsfirma Carnatrade zusammen. Als Präsident des Verwaltungsrats vorgesehen ist Clemens Tönnies.

«Klassische Vertriebsgesellschaft»

Clemens Tönnies ist in Deutschland eine bekannte Persönlichkeit, man nennt ihn auch den «Schlachtbaron». Unter anderem war der Chef des Familienbetriebs von 2001 bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender des FC Schalke 04. Dann aber brachten ihn heftige Covid-Ausbrüche in der Tönnies-Grossmetzgerei Rheda-Wiedenbrück unter Druck; sie führten zu einer grossflächigen Debatte über die Arbeitsbedingungen in der deutschen Fleischindustrie.
Der Umsatz von Tönnies betrug letztes Jahr 6,2 Milliarden Euro, allein in Deutschland schlachtet das Unternehmen gut 16 Millionen Schweine pro Jahr.
Die Frage ist, ob hinter der Tönnies Schweiz AG ein Interesse am helvetischen Markt oder bestimmte Vertriebspläne stehen – und wie sehr hier allenfalls auch strategische und strukturelle Verschiebungen vorbereitet werden. «Es handelt sich um eine klassische Vertriebsgesellschaft, wie wir sie in vielen anderen europäischen Ländern schon haben», antwortet Fabian Reinkemeier, der Leiter der Tönnies-Konzernkommunikation.
Tönnies hat den Holding-Sitz in Dänemark, was dem Familienkonzern in jenem Sommer 2021 den Verdacht eintrug, er wolle auf diese Weise Arbeitnehmer-Vertreter fernhalten vom Aufsichtsrat.

Tönnies: Das Schweinefleisch-Imperium

Tönnies ist eine typische Aufsteiger-Story in der deutschen Nachkriegswirtschaft. Seinen Ursprung hat der Konzern laut der Firmen-Homepage in der Altstadt des westfälischen Städtchens Rheda. Hier habe der Metzger Klemens Tönnies sieben bis zehn Schweine pro Woche geschlachtet. Nach seinem Tod traten seine Söhne Bernd und Clemens in die Fusstapfen des Vaters und absolvierten eine Ausbildung zum Metzger.
Zwischen 1971 und seinem Tod baute Bernd Tönnies (1952-1994) Deutschlands grösstes Schweinefleisch-Imperium auf. 1994 starb er mit gerade 42 Jahren nach einer Nierentransplantation. Seinem Bruder Clemens sen. hinterliess er 40 Prozent der Aktien des Unternehmens, den Rest erhielten die beiden Söhne Robert und Clemens jun. Im Jahr seines Todes war Bernd Tönnies Präsident des FC Schalke geworden.
Clemens Tönnies, der Bruder des Gründers, wurde zu dessen erfolgreichem Nachfolger. Heute ist die Tönnies Holding rund doppelt so gross wie die nächsten Konkurrenten Westfleisch und Vion Food Group. Der Umsatz – die einzige Geschäftszahl, die Tönnies veröffentlicht – reduzierte sich von 2020 auf 2021 um 11 Prozent oder 800 Millionen auf 6,2 Milliarden.
Das Unternehmen stand in den letzten Jahren immer wieder in der Kritik.
  • Tönnies-Mitarbeiter streikten in den letzten Jahren mehrmals für mehr als die häufig üblichen 10 Euro pro Stunde. Tönnies beschäftigt vor allem Arbeiter aus Osteuropa, die er – so Kritiker – schlecht unterbringe und mies bezahle.
  • Wegen Überwachungskameras in Umkleidekabinen und Toiletten der Schlachtbetrieben. Tönnies musste 80000 Euro Strafe zahlen.
  • Weil er seine Mitarbeitenden nicht ausreichend vor Covid geschützt habe. Tönnies wurde deshalb für den Lockdown eines ganzen Landkreises verantwortlich gemacht – wie korrekt das war, ist unklar.
  • Clemens Tönnies war ab 2001 ist er Chef von Schalke 04. Er soll 2006 den mächtigen Schalke-Manager Rudi Assauer aus dem Amt gedrängt haben. Im Januar 2007 zog er für den Klub den Gaskonzern Gazprom als Hauptsponsor an Land, an dem der russische Staat die Mehrheit hält.


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