Neue Ernährung: «Wir müssen eine Auswahl anbieten» (3/3)
Was braucht es, um unser Ernährungssystem auf Nachhaltigkeit zu trimmen? Peter Braun, Leiter des Netzwerks Swiss Food Research, über die Rolle der Schweiz.
28.02.2023Sie haben in einem Vortrag eine «ketzerische Frage» in den Raum gestellt: Warum bringen wir die Menschen nicht einfach dazu, Eiweisse aus Gemüse, Hülsenfrüchten, Bohnen, Linsen selber in der Küche zuzubereiten statt Schnitzel aus diesen Zutaten zu kaufen?
Auf den ersten Blick gehe ich damit einig. Andersrum betrachtet: Es gibt nicht eine universale Mahlzeit. Wir haben eine starke Polarisierung am Esstisch. Fleischalternativen, die teilweise sehr nahe an das Vergleichsprodukt herankommen, senken für viele Konsumenten die Hürde, sich auf fleischlose Ernährung einzulassen. Das ist ein positiver Effekt.
Peter Braun: von Kraft Foods zu Swiss Food Research
Peter Braun ist promovierter Chemieingenieur ETH mit Fachausrichtung Lebensmittelverfahrenstechnik. Er hat über 20 Jahre lang in Konzernen wie Kraft Foods, Mondelez, Bühler in den Bereichen Innovation und Forschung gearbeitet. Seit 2013 ist er Co-Managing Director von Swiss Food Research.
Anderen, die das ablehnen, sollten wir vielleicht Tempeh, ein fermentiertes Produkt, erklären. Oder die vegetarische indische Küche. Wir müssen eine Auswahl anbieten. So lange jeder etwas auf seine Weise zu einer Änderung beiträgt, ist das gut. Ich würde die aktuelle Polarisierung nicht mal verteufeln, denn auf ihrem Grund entstehen neue Produkte, die andere Konsumentengruppen erschliessen. In der Summe ergeben sich mehr Menschen, die mehr pflanzliche Proteine essen.
Agroscope-Studie: Verbote effektiv, aber unbeliebt
In einer auf 160 publizierten Untersuchungen basierenden Literaturstudie stellt Agroscope, das Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, fest: Verbote und marktorientierte Instrumente sind effektiv, werden aber nur ungern akzeptiert. Reine Informationen und leises Anstupsen der Konsumenten hilft wenig, um diese von einer nachhaltigeren Ernährungweise zu überzeugen.
Problematisch sei die schwammige Begrifflichkeit bei diesem Thema: «Unterschiedliche Definitionen und Indikatoren für Nachhaltigkeit erschweren den Dialog und ein einheitliches Verständnis zu diesem Thema.» Das erschwere auch die Festlegung von Zielwerten in nachhaltigen Ernährungssystemen.
Wo liegen Chancen für die Industrie?
Bei Produkten, die Prozesstechnik benötigen. Aber es gibt auch für handwerkliche Betriebe neue Optionen. Sie können zum Beispiel lokale oder regionale Verbundsysteme bilden. Da arbeiten dann die Bauern und Hersteller wörtlich Hand in Hand.
Sie könnten sich aber auch eine weltweite Arbeitsaufteilung nach Weltregionen vorstellen. Die eine Regio liefert Rohstoffe, eine andere hat nachhaltige Energie zur Verarbeitung und so weiter.
Ohne eine grossskalige Produktion von Lebensmitteln geht es nicht. Sonst wären wir heute nicht in der Lage, 8 Milliarden Menschen – dreimal mehr als 1945 – auf dieser Erde zu ernähren. Die Frage ist also: Wie kann welches Land dazu beitragen? Wie sehen die lokalen Gegebenheiten aus? Die Schweiz etwa könnte ihren Fokus könnte auf regionalen Verbundsystemen liegen und eher weniger auf eine grossskaligen Produktionsweise. Wir brauchen hier ein kollaboratives und konstruktives Vorgehen mit allen Beteiligten, um Lösungen für eine zukunftsorientiertes Ernährungssystem zu erarbeiten und bestehende, heutige Zielkonflikte mit dem gemeinsamen Willen zur Veränderungen in einer verträglichen Form für alle Beteiligten aufzulösen – Kreativität und Innovation sind gefragt.
Und über die Schweiz hinaus?
Die Globalisierung wird weiter bestehen. Die Handels- und Logistikprozesse sind installiert und wollen gefüttert werden. Auch andere Länder wollen ihr Geld verdienen. Nehmen wir als Beispiel Saudi-Arabien: Wenn das Land kein Erdöl mehr verkaufen kann, was dann? Es kann zum Beispiel auf Energiegewinnung durch die Sonne setzen. Für eine Fabrik brauche ich kein Grünland, aber Energie. Und so könnte jedes Land die Stärke finden, mit der es sich profilieren kann. Und die Kunst ist es ja, wie können wir friedlich auf der Welt zusammenleben. Da muss man dem anderen ja auch was lassen.
Wie optimistisch sind Sie?
Sagen wir so: Ich hoffe, dass der Mensch sich weiterentwickelt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Hattip: Dieses Gespräch fand am 23. Februar im Rahmen des Food Startup Summit 23 in Radolfzell (D) statt.
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