Plastikschwemme: Konzernchefs rufen nach dem (Welt)staat

Die Chefs von Nestlé, Unilever und Danone bezweifeln, dass sie das Abfallproblem ihrer Unternehmen selber lösen können – dafür brauche es globale Gesetze. Im Ernst?

6.06.2023
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Bild: Brian Yurasits on Unsplash von: on Unsplash
«Ohne Regeln auf internationaler Ebene wird der derzeitige Flickenteppich von Vorschriften zur Festlegung von Reduktionsstrategien bestenfalls ineffektiv und schlimmstenfalls kontraproduktiv sein.» Man könnte meinen, diese Worte stammten von einem grünen NGO. Aber der Ruf nach einem globalen Staatseingriff gegen die Plastikschwemme kommt von keinem anderen als Nestlé-CEO Mark Schneider.
Schneider drückt seine Hoffnung aus, dass die Uno ein Problem lösen kann, das die einzelnen Verursacher – zum Beispiel sein Unternehmen – nicht mehr in den Griff bekommen. Das klingt nach Verzweiflungsakt und Offenbarungseid zugleich.
Was er auf seiner LinkedIn-Seite schreibt, hallt in einem gemeinsamen Aufruf von Schneider und Danone-CEO Antoine de Saint-Affrique wider, der letzte Woche vom World Economic Forum veröffentlicht wurde: «Freiwillige Massnahmen der einzelnen Unternehmen und ihrer Führungskräfte können (...) immer nur ein Teil der Lösung sein», so die beiden Food-Spitzenmanager.
«Wir können die Plastikverschmutzung nicht allein bekämpfen», lässt derweil Unilever-Chef Alan Jope verlauten. «Wir fordern einen Vertrag mit rechtsverbindlichen globalen Regeln. Wir treiben den Wandel voran. Wir vereinen unsere gemeinsame Verantwortung.» Deshalb beteilige sich sein Konzern an der «Business Coalition for a Global Plastics Treaty».
«Freiwillige Massnahmen der einzelnen Unternehmen und ihrer Führungskräfte können immer nur ein Teil der Lösung sein.»
Zur Erinnerung: Mit jährlichen Mengen von über 900'000, 700'000 und 500'000 Tonnen an Plastikverpackungen gehören die drei Konzerne Nestlé, Unilever und Danone neben Coca-Cola und PepsiCo zu den Top-Verursachern des Müllbergs, der hier zur Diskussion steht. Im September 2022 schlossen sie sich zur Unternehmenskoalition zur Verhinderung von Plastikabfall zusammen – gemeinsam mit dem kompletten «Who is who» der westlichen Corporates.
Als Ziel nannten sie eine «Kreislaufwirtschaft, in der Kunststoff nie zu Abfall oder Verschmutzung wird und der Wert von Produkten und Materialien in der Wirtschaft erhalten bleibt».

Wehe! Wehe!

Aber der Weg dorthin führt für sie über ein internationales Regelwerk der UNO. Denn die Zauberlehrlinge, die jahrzehntelang auf Plastik als ideales Aufbewahrungsmaterial für ihre Produkte gesetzt haben, wissen nicht, wie man die ausgelöste Schwemme wieder beendet.
Wie hiess es bei Goethe? «Stehe! stehe! Denn wir haben | Deiner Gaben | Vollgemessen! Ach, ich merk es! Wehe! Wehe! Hab ich doch das Wort vergessen.»
Die Lösung sichten die Konzernchefs nun in der Uno. Alleine die Weltorganisation und alle Staaten im Verbund können stoppen, was die Unternehmen einst losgetreten haben.
Dahinter steckt nicht nur die Sorge, angesichts der wachsenden Abfallmassen zu spät zu sein –wenn jedes Unternehmen und jeder Staat die Welt alleine ein wenig vor sich her rettet. Es ist auch die Furcht, als Vorreiter alleine auf weiter Flur zu bleiben und im Vergleich zu den zahlreichen kleineren Konkurrenten auf den Zusatzkosten sitzen zu bleiben, die bei einer Umstellung auf die Kreislaufwirtschaft unweigerlich entstehen würden.

Ausgerechnet die Politiker?

Und so lautet der Titel des Aufrufs, den die Koalition von Nestlé, Unilever, Danone und Co. vor einer wichtigen UN-Sitzung zum Thema publiziert hat, denn vielsagend: «GLOBALE ERGEBNISSE, DIE ZUR VERWIRKLICHUNG UNSERER VISION ERFORDERLICH SIND.» Geschrieben in Grossbuchstaben.
Aber kann das auch klappen? 100 Unternehmen, die wegen ihrer Konkurrenzsituation keine Linie finden, setzen auf Politiker aus 200 Ländern, die im Kampf gegen Umweltzerstörung noch nie eine Linie fanden?
Laut einer Mitteilung des «Umweltprogramms der Vereinten Nationen», das nun eine Lösung finden soll, ist der dafür zuständige «Zwischenstaatliche Verhandlungsausschuss» bereit, einen Entwurf für ein Plastikabkommen auszuarbeiten. Bis zur nächsten Konferenz im November soll das Papier stehen.
Wer weiss, wie langsam die politischen Mühlen mahlen, mag sich eines denken: Bitte, Unternehmensführer, zählt doch zunächst mal auf eure eigenen Kräfte. Denkt euch gemeinsam eine klare Strategie für den gemeinsamen Aufbau einer Kreislaufwirtschaft aus.
Wartet vor allem nicht auf die Weltpolitik.
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