Coop im Bio-Bullerbü

Coop feiert das 30-Jahre-Jubiläum von Naturaplan. Die damalige Bio-Pioniertat steht im Kontrast zur heutigen Behäbigkeit.

1.02.2023
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Hauptsache retro: Werbespot für Naturaplan, 2013, Screenshot.
Das Nachhaltigkeits-Label Naturaplan von Coop wird 30 Jahre alt: Es ist Zeit zu feiern. Man soll ja auch mal zufrieden sein.
Oder wie es ein Naturaplan-Bauer der ersten Stunde in der aktuellen «Coopzeitung» zum 30-Jahre-Jubiläum der Coop-Marke sagt: «Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann, dass alles so bleibt, wie es ist.» Ja, wer hätte das nicht gern?
Leider bleibt im realen Leben nur wenig immer gleich. Was Coop medial zum Jubiläum bietet, klingt dennoch wie «Same procedure as every year, Philipp.» Im Interview wälzt CEO Philipp Wyss keine Fragen zur Zukunft des Bio-Anbaus, er erwartet einfach weiter steigende Zahlen: «Wir sehen schon jetzt: Naturaplan wächst auch im Jubiläumsjahr 2023.»

Bio für alle – aber wie?

Kein Wunder, wenn die Preise weiter steigen. Wie aber, möchte man fragen, steht es um den Bio-Anteil am Gesamtvolumen? Das stagniert seit Jahren und ist 2022 laut ersten Daten des Bundesamtes für Landwirtschaft sogar gesunken.
«Bio für alle»: So reisst das Hausblatt des Konzerns auf seinem Cover das Gespräch mit CEO Wyss an. Aber wie erreicht man das, wenn der Anteil im Einkaufskorb gerade mal stagniert?
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«Bio für alle»: Coop-CEO Philipp Wyss mit Biobauer Manfred Wolf in der «Coopzeitung», 31. Januar 2023.
Die Website von Coop zum Jubiläum schwelgt lieber in Erinnerungen. Und wer Naturplan.ch anwählt, stösst nicht auf erhellende Informationen, sondern lediglich auf das ausgeweitete Sortiment der Marke.
Der Pionierin scheinen die Ideen auszugehen. Von Innovation und frischen Ideen ist – ausser in der Produkteentwicklung – weit und breit nichts zu erkennen. «Weiter so» lautet die Devise.

Die Konkurrenz ist hellwach

Zur Erinnerung: Die Konkurrenten Migros, Aldi und Lidl und Denner haben in Sachen Nachhaltigkeit in den letzten Jahren gegenüber der Vorreiterin Coop aufgeholt. Diese hat zwischen 2020 und 2021 im Bio-Segment sogar an Marktanteil verloren.
  • Aldi Suisse kündigte 2022 mit einem neuen Bio-Label «Retour aux sources», das unter anderem auf antibiotikafreie Produktion in der Milchwirtschaft setzt, seine wachsenden Ambitionen an.
  • Zudem zeigte der Discounter vor kurzem mit einem «Flugverbot» Flagge in Sachen Nachhaltigkeit – eine Vorreiterrolle, die Konkurrentin Lidl bereits vor zwei Jahren eingenommen hatte – derweil Coop wie auch Migros (noch) hintanstehen.
  • Mit Alnatura fährt Migros erfolgreich zweigleisig: Verkauft werden sowohl Bio-Suisse zertifizierte Knospenprodukte, als auch EU-Bio-Artikel der deutschen Schwesterfirma.
  • Beim Migros-Discounter Denner kann man inzwischen neben dem EU-Bio-Sortiment EnerBio seit Oktober 2022 auch Schweizer Milch in Bio-Knospen-Qualität kaufen.
  • Erstmals hat zudem die Marke Migros-Bio in der Schweizer Bevölkerung den besseren Bekanntheitswert als Naturaplan von Coop, wie der aktuelle Brand Indicator Switzerland zeigt.
Daraus lässt sich auch folgern: Bio und Nachhaltigkeit sind Themen, die immer mehr zum Standard werden. Sie sind kein USP mehr wie vor 30 Jahren.

Viel Stoff für Diskussionen

Hier einige ungestellte Frage zum Wiegenfest von Naturaplan:
  • Was gäbe es für Möglichkeiten, die Preise von Bio-Produkten zu senken und damit attraktiver zu machen?
  • Wie sehen Coops Antworten auf die brennenden Fragen der steigenden Lebensmittelpreise und des schrumpfenden Anteils der Verkäufe im Bio-Sektor aus?
  • Wie können Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit in Einklang gebracht werden?
Urs Niggli, Ex-Chef der Forschungsanstalt für biologischen Landbau, sprach im Oktober 2022 im Interview mit der «Handelszeitung» an, was den Bio-Landbau behindert: Die Branche sei «intolerant» geworden und immun gegen jegliche Formen der Innovation – etwa eine stärkere Digitalisierung oder neue Technologien wie Crispr.
Dieser Art Genome Editing hat Coop-Partner Bio Suisse kürzlich eine klare Abfuhr erteilt. Während sich der Grossverteiler im Einklang mit den Mitbewerbern positiv dazu geäussert hatte.
Oder würde eine (gern auch begrenzte) Marktöffnung für Bio-Produkte aus dem Ausland helfen? Das könnte allen Beteiligten Beine machen für Kostensenkungen in der Produktion und im Verkauf.
Und wie steht es mit IP Suisse? Zurzeit in Kraft tretende Label-Richtlinien sollen die Bio-Diversität fördern. Folgen weitere Verbesserungen in Richtung Nachhaltigkeit? Wäre IP Suisse angesichts real sinkender Löhne ein zweites Standbein im Nachhaltigkeits-Segment, das stärker gefördert werden müsste?

Chance zur Diskussion verpasst

Gerne würde man vom Coop-Konzern in Feierlaune mehr über Strategien im Bio-Bereich erfahren. Das Naturaplan-Jubiläum wäre ein idealer Anlass, um die Herausforderungen wenigstens zu diskutieren – auch wenn Antworten nicht einfach zu finden sind.
Diese Chance scheint Coop vorbeiziehen zu lassen. Das ist schade und weder für den Bio-Sektor noch für die Konsumenten ein gutes Zeichen.
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