Neue Ernährung: «Wir haben keine sieben Jahre mehr» (1/3)

Was braucht es, um unser Ernährungssystem auf Nachhaltigkeit zu trimmen? Peter Braun, Leiter des Netzwerks Swiss Food Research, setzt auf möglichst viele Optionen. Nur schnell müsse es gehen.

28.02.2023
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Peter Braun, Geschäftsführer von Swiss Food Research | Bild: PD SFR
Herr Braun, in den Diskussionen über nachhaltige Ernährungssysteme spukt immer wieder die Zahl 7 herum: Demnach hätten wir noch 7 Jahre Zeit für eine Umstellung auf zukunftsträchtige Nahrungsformen. Stimmen Sie dem zu?
Ich denke, dass es wahrscheinlich noch drastischer ist. Generell werden die sich gegenseitig potenzierenden Effekte unterschätzt, die hier eine Rolle spielen. Mit der Veränderung des Klimas verändern sich auch die Böden. Mit Bodenveränderungen kommen Fruchtbarkeitsverluste. Mit diesen kommt die Aufgabe, die Böden wieder aufzubauen. Gleichzeitig leidet auch die Biodiversität. Das sind Entwicklungen, die wir eher schlecht einordnen können und deren Effekte sich potenzieren. Wenn wir hier nicht umgehend gegensteuern, dann sind die 7 Jahre viel zu lang geschätzt. Das sagt mir mein Gefühl.
Braucht es kultiviertes Fleisch, um das Ziel eines nachhaltigeren Lebensmittelsektors bis in ein paar Jahren zu erreichen?
Nein, das braucht es nicht. Die Herausforderungen sind andere. Wenn nur die Zeit eine Rolle spielen würde, könnte man heute sagen, wir beschliessen dazu passende Gesetze und damit wäre es erledigt. Die Frage ist aber: Welche Auswirkungen hätten gesetzliche Vorgaben auf unsere Demokratie? Auf unsere soziale Strukturen und unsere Gesellschaft?
Neue «Vegi-Initiative» will intensive Tierhaltung einschränken
Am Sonntag wurde die Lancierung einer neuen Intiative bekannt, deren Ziel eine nachhaltigere Landwirtschaft mit mehr Ackerbau und weniger Viehzucht ist. So sollen die Landwirte mehr pflanzliche und weniger tierische Lebensmittel herstellen. Der Nettoselbstversorgungsgrad der Schweiz soll damit von heute 50 auf  70 Prozent gesteigert werden. Dieses Ziel würde bei einer Annahme der Initiative in die Bundesverfassung geschrieben werden.
Die Verfasserin der «Vegi-Initiative», Franziska Herren, betonte gegenüber Medien, sie wolle keine Ernährungsform ausschliessen, auch Fleisch nicht. Vielmehr solle eine neue, «ausgewogene Balance zwischen der Produktion von tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln» hergestellt werden.
Sie meinen: Wenn man den Menschen eine bestimmte Ernährung aufzwingen würde – mehr Pflanzliches, weniger Fleisch – dann gäbe es Revolten?
Ja, das gäbe es wohl. Diese Ultima-ratio-Massnahmen mittels Gesetzen stünden zur Verfügung, wir wollen sie aber nicht. Wir wissen heute schon, was möglich wäre, um den Zeithorizont einzuhalten: den Fleischkonsum drastisch reduzieren, auf pflanzliche Proteine fokussieren. Die Herausforderung ist: Wie machen wir das in einem demokratischen Prozess, ohne unsere Gesellschaftsordnung auf den Kopf zu stellen?
Peter Braun: von Kraft Foods zu Swiss Food Research
Peter Braun ist promovierter Chemieingenieur ETH mit Fachausrichtung Lebensmittelverfahrenstechnik. Er hat über 20 Jahre lang in Konzernen wie Kraft Foods, Mondelez, Bühler in den Bereichen Innovation und Forschung gearbeitet. Seit 2013 ist er Co-Managing Director des Netzwerks Swiss Food Research.
Und was geschieht mit all den Gegenden – wie den Alpen –, wo keine Kartoffeln oder Hülsenfrüchte angebaut werden können, sondern Tiere grasen?
Das ist das nächste Umbauprojekt. Wie macht man das sozialverträglich? Wir müssen den Landwirten, die Vieh halten, eine Alternative bieten. Von der Auswirkung auf das Klima her betrachtet ist Viehwirtschaft in den Bergen – aus globaler Sicht – nicht wirklich relevant. Das Problem sind vielmehr die grossen Rinderfarmen mit Tausenden von Tieren,…
… die Soja aus Brasilien fressen.
Genau. Gleichzeitig haben wir hier in der Schweiz und in Europa aber eine Vorbild- und Leitfunktion. Daher ist es durchaus relevant, dass wir auch hier vorangehen. Das wird schwierig, denn wir verändern so Besitzverhältnisse, Traditionen und Berufsbilder. Das kann nur gemeinsam mit den Landwirten und Landwirtinnen bearbeitet werden Diese werden natürlich zuerst sagen: Wenn die Schweizer Landwirtschaft fürs Klima keine Rolle spielt, warum sollen wir dann vorangehen?
Der Agrarkonzern Fenaco hat sich kürzlich an einem Projekt beteiligt, bei dem es darum geht, Laborfleisch auf Bauernhöfen zu züchten.
Das ist ein wichtiger Punkt. Es gibt bereits verschiedenste Ansätze zu überlegen, welche anderen Formen der Wertschöpfung auf die Bauernhöfe gebracht werden können. Ein gutes Beispiel: Der Bund hat kürzlich Direktzahlungen für Landwirte erlaubt, die Pflanzenproteine anbauen. So wird dieser Anbau attraktiver. Ohne Subventionen werden wir sowieso nie auskommen. Ob ich die Subventionen über Steuern oder höhere Preise bezahle, spielt keine Rolle – die geleistete Arbeit und eine gewisse Selbstversorgungssicherheit haben eben ihren Preis.
Welche Einnahmequellen wird es für Landwirte geben?
Die Frage ist hier: Was passt zu den Höfen, zu den Landwirten? Aquakultur hatte dort zum Beispiel keinen Erfolg, weil es sich um eine 24-Stunden-Arbeit handelt, die von Landwirten – quasi nebenbei – nicht geleistet werden kann. Man muss also etwas finden, das sich in den Arbeitsalltag integrieren lässt, zum Beispiel Insekten- oder Pilzzucht. Die Herstellung von fermentieren Produkten, wie etwa Sauerkraut oder Brot, findet ja bereits statt und passt zum Hof. Ob Bauernhöfe aber für die Produktion von Fleisch aus Bioreaktoren geeignet sind, müssen wir erst herausfinden.
Swiss Food Research: Tinder für Food-Innovatoren
«Wir sind wie Tinder für Innovation.» So umschreibt Peter Braun die Institution, die er seit 2013 leitet. Swiss Food Research bringe die passenden Partner auf Forschungs- und Umsetzungseite zusammen und identifiziere Unterstützungmöglichkeiten sowie Finanzierungsmodelle. Der Verein betreibt verschiedene Plattformen, um Akteure aus der Ernährungsbranche zusammenzubringen.
Finanziert wird das Netzwerk über die 200 Mitglieder des Vereins. «Wir werden auch von Projekten wie dem Innovation Booster oder etwa Stiftungen finanziert» ergänzt Braun. Swiss Food Research agiert unabhängig und neutral.

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