E-Commerce: Temu ist jetzt auch auf dem Schweizer Markt

Das chinesische Online-Billigwarenhaus richtet sich gezielt an die hiesige Kundschaft. In den USA hat Temu bereits Shein verdrängt.

16.06.2023
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Switzerland-T-Shirt für 9.48 Franken: Angebote auf Temu.
Still und leise ist es soweit: Der chinesische Online-Marktplatz Temu hat eine /ch-Subplattform aufgeschaltet, wo aktuell – auf Deutsch und Französisch – eine «Grosse Eröffnung» mit Rabattaktionen läuft.
Da finden sich dann chinesische Produkte zu Extremstpreisen, beispielsweise Sport-BHs für 3,98 Franken, Sportschuhe für 23 Franken oder eine Lesebrille für 3,49 Franken.
Ganz überraschend ist der Schritt nicht: Schon Ende April sickerte heraus, dass Pinduoduo, der verschwiegene Mutterkonzern, mit Temu nach Europa drängt.

Vor einem Jahr nirgends…

Doch damals hiess es, die ersten Expansionsschritte seien in den Hauptmärkten Deutschland, Italien, Fankreich, Spanien und Grossbritannien geplant; gesteuert wurde das Ganze von einer neuen Europazentrale mit Sitz in Irland. Heute, Stand Mitte Juni 2023, hat Temu aber bereits spezielle Plattformen und Lieferdienste für 13 europäische Länder.
Das lässt spüren, mit welchem Tempo der E-Commerce-Konzern Pinduoduo aus Schanghai im Westen ausgreift. Der erste Temu-Ableger jenseits von China war im September 2022 in den USA lanciert worden. Bis im Februar kämpfte sich Temu bereits unter die am häufigsten heruntergeladenen Shopping-Apps von Amerika vor. Als es dann einen Superbowl-Spot platzierte, wurde die Marke allgemein bekannt – zumal der 30-Sekunden-Clip laut Spezialisten zu den effizientesten Werbeauftritten der Superbowl-Geschichte gehörte.
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Man beachte die Preise (und die Sternchen-Bewertungen): Schuhmode-Auswahl auf Temu Schweiz.
Und heute? Ist es bereits wieder eine Stufe weiter. Laut Daten der Wirtschaftsagentur «Bloomberg» stand Temu 2023 bislang an den meisten Tagen zuoberst auf der Liste der am meisten heruntergeladenen iOS-Apps. Und vor allem: Im letzten Monat – Mai 2023 – überholte Temu in den USA den Billigheimer Shein. Es setzte sage und schreibe 20 Prozent mehr um.

…bald ein Politikum?

Das heisst auch: Die ganzen Nachhaltigkeits- und Ausbeutungs-Debatten, die sich immer wieder mal an Shein festmachen, werden auch hierzulande wohl bald noch heftiger geführt – anhand von Temu. «Shop like a Billionaire», lautete die Aufforderung im Werbespot des Unternehmens ans amerikanische Publikum.
Kauf ein wie ein Milliardär: Werbespot von Temu in den USA.
Insgesamt erklärt sich das temporeiche Wachstum daraus, dass Pinduodo alle Register der globalen Verkaufspsychologie zieht.
  • Temu bietet Ultra-Billig-Produkte. Auf der Schweiz-Seite kann man beispielsweise einen Bikini für 10.80 Franken erwerben, ferner Herren-Slipper für 16.60 Franken oder kabellose Kopfhörer von Lenovo für 9.59 Franken. Jeweils mit Gratisversand, geliefert per DPT und Swiss Post, und einer Frist von 90 Tagen für Gratisretouren.
  • Temu arbeitet mit Gamification. Wer den Shop ansteuert, nimmt oft zuerst einmal an einem Gewinnspiel teil – und gewinnt natürlich. Zum Beispiel einen Rabatt oder ein «Startguthaben».
  • Temu hat Strukturvertrieb-Komponenten. Je mehr neue Anmeldungen anderer Nutzer man generiert, desto mehr der Artikel bezieht man kostenlos. Eine Art Multilevel-System sorgt dafür, dass die aktivsten Kunden-Akquisiteure Gratisprodukte im Wert von mehreren hundert Dollar bestellen können, wie das Magazin «Time» recherchierte.
  • Temu ist eine Rabattmaschine. Den Kunden werden pausenlos neue Rabatte angepriesen (wobei es unmöglich ist herauszufinden, welches der «Originalpreis» war oder ob es einen solchen überhaupt je gegeben hat).
  • Weitere Nudging-Komponenten sind die Zeit-Ticker, die auf verschiedenen Ebenen zu einem raschen Abschluss herausfordern, sowie omnipräsente Bewertungen, die konsequent zufriedene Kunden signalisieren.
Hintergrund: Connie Chan: «Temu: What It Is, and Why It Matters», Andreessen Horowitz Newsletter, Januar 2023.


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