1 Sneakerpaar = 10 Kilogramm CO2

Auch der Sporthändler Decathlon will den CO2-Fussabdruck drastisch senken. Die Lösungen stecken in den Details: Das zeigt ein Besuch im Designcenter des Unternehmens.

25.04.2023
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Decathlon-Laufschuh Kalenji Run Active Grip | Bild: PD Decathlon
Dass auch ein Sportschuh einen Fussabdruck hinterlässt, ist offensichtlich. Dass dieser 10 Kilogramm CO2 beinhaltet, ist hingegen erklärungsbedürftig. Wie entsteht diese Menge zwischen dem Moment, da das Erdöl für seine Kunststoff-Komponenten aus dem Boden geholt wird, und dem Ende, wenn sich der Sneaker in der Kehrichtverbrennung in Asche und Gase auflöst?
Wer die 10 Kilogramm auf Null herunterbringen will, muss zunächst diese Frage beantworten.

Schweizer Outdoor-Unternehmen sagen «Ja» zum Klimaschutzgesetz

Mammut, Odlo, Patagonia, On: Diese und 20 weitere Unternehmen der Schweizer Outdoor-Branche votieren für ein «Ja» zum Klimaschutzgesetzt, das am 18. Juni zur Abstimmung kommt. Diesen Entscheid tun sie im Rahmen der «Brand Alliance – Protect Our Winters» kund, die sich bereits 2021 für das – schliesslich vom Stimmvolk mehrheitlich abgelehnte – CO2-Gesetz eingesetzt hatte. In der «NZZ am Sonntag» vom letzten Sonntag wird Mammut-Manager Adrian Huber, der beim Hersteller von Outdoor-Ausrüstungen für Corporate Responsbility verantwortlich ist, zum Aufruf im Namen der Brand Alliance zitiert: «Wir können nur radikal ehrlilch mit uns selbst sein. Wir wissen, dass wir nicht perfekt sind.»
Decathlon hat die Antworten. Der grösste Sportwarenhändler der Welt verkauft alleine in der Schweiz jährlich 500'000 Paar Schuhe. 90 Prozent seines Sortiments entwickelt der Branchenprimus selber und lässt sie von Industriepartnern herstellen.
«Wir haben deshalb eine grosse Verantwortung», sagt Raffaele Duby, der Manager für Nachhaltigkeit «Design and Offer» bei Decathlon bei einem Medienanlass im Decathlon Designcenter in Passy nahe Chamonix. «Denn alle unsere Geschäftsaktivitäten haben Auswirkungen auf Natur und Umwelt.»

Auch Decathlon hat hohe Ziele

Sport sei nötig und wünschenswert, sagt Duby, doch müsse sie kompatibel mit der Umwelt sein. Decathlon verspricht deshalb, seinen CO2-Verbrauch bis 2026 um 20 Prozent zu reduzieren. Zudem hätten sich die Entwicklungsteams der Firma dazu verpflichtet, bis 2026 alle neuen Produkte so zu entwickeln, dass die Umweltauswirkungen im Vergleich zum Vorgängermodell reduziert werden. Und bis 2050 – also in 27 Jahren – sollen diese über das gesamte globale Business von Decathlon um 90 Prozent tiefer sein.
Ist das rasch oder zögerlich? Spricht man bei Decathlon mit den Verantwortlichen für die nachhaltigte Produkteentwicklung , vermitteln sie das Gefühl: Man steht noch ziemlich am Anfang, ist aber mit Enthusiasmus unterwegs.
2006 hat der Betrieb erstmals alle seine Artikel auf ihre Umweltschädlichkeit hin geprüft. 2010 verwendete man in der Herstellung erstmals rezykliertes Polyester. 2013 wurde der CO2-Fussabdruck des Unternehmens zum festen Thema in der Jahresbilanz. 2022 schrumpfte der CO2-Fussabdruck erstmals in der Gesamtrechnung.

80 Prozent des CO2 steckt in den Materialien

Zurück zum CO2-Fussabdruck des Durchschnittssneakers: Während der letzten drei Jahre entwickelte Decathlon eine Standard-Analyse, mit der die Klimafolgen des Sortiments berechnet werden. Erst dadurch wurde es für die Produkteentwickler möglich, an den richtigen Stellen anzusetzen, um eine Senkung des CO2-Verbrauchs zu ermöglichen.
Das Resultat: Angepackt werden müsste primär bei der Produktion der einzelnen Komponenten (50 Prozent der CO2-Belastung) sowie bei den nötigen Rohmaterialien (30 Prozent der CO2-Belastung). Verarbeitung, Distribution, Entsorgung und Verpackung der Treter spielen andererseits nur eine relativ kleine Rolle.
Wo können die Produktedesigner und -entwickler bei dieser Ausgangslage ansetzen?
Zentral für sie ist die Verwendung von Recyclingmaterialien. Das bedeutet insbesondere: Polyester, aus dem der Löwenanteil des Sortiments bei Decathlon gefertigt wird – von Schuhen und Windjacken über Rucksäcke bis zu Zelten. Rezykliertes Polyester nimmt darum in einer Kapselkollektion unter dem neuen Label «Eco Design», das soeben in den Handel gekommen ist, eine zentrale Position ein.

Beispiel Regenjacke

Wird Polyester wieder- statt neu verwendet, ist der CO2-Fussabdruck schon mal 5 Prozent kleiner. Rezykliertes Polyester wird beispielsweise in einer neuen «Eco Design»-Windjacke der Bergsteigermarke Forclaz von Decathlon verwendet. Dazu wird es für den Stoff hälftig mit rezyklierter Baumwolle oder auch gemischt und im neuen – oder eigentlich uralten – Jacquard-Web-Verfahren gewoben.
Die Abfälle beim Zuschnitt werden digital minimiert, und zum Färben werden neue Techniken wie «Dope Dyed» angewendet, durch welche die Menge an Farbe oder Wasser gesenkt wird. Zudem wird bei den Eco-Design-Artikeln vermehrt mit Falten- statt genähten Taschen gearbeitet. Damit werden einige Nähte unnötig.
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Eco-Design-Jacke der Decathlon-Marke Quechua | Bild: PD
Zusätzlich kommen zur Wasserresistenz der Stoffen Acryl und Bienenwachs statt der üblichen Chemikalien zur Anwendung. Und gefertigt werden die Artikel in Europa statt in Asien.

60 Prozent weniger CO2, 5 mal teurer

Resultat? Fast zwei Drittel weniger CO2-Verbrauch als bei vergleichbaren Modellen, die konventionell in Asien produziert werden.
Aber das heisst auch: höhere Produktionskosten, die auf die Kunden überwälzt werden müssen. So kostet die Jacke 250 statt der üblichen 50 Euro. In den Läden von Decathlon wird sich nun weisen, ob die Kapselkollektion aus nachhaltiger, europäischer Produktion Käufer findet.
Um den Verkauf anzukurbeln, werden in den Läden der Kette auffällige «Eco Design»-Ständer verwendet. Am Standort Passy, wo Decathlon neben dem Designcenter auch eine grosse Filiale führt, wurde das Personal spezifisch instruiert. Es weiss um die Notwendigkeit, den Kunden das neue Konzept und die höheren Preise erläutern zu müssen. Auch wenn es die Chancen der neuen Artikelserie durchaus realistisch betrachtet.
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Eco-Design-Ständer in der Filliale Passy | Bild: Konsider

Die vier «R» der Nachhaltigkeit

Bereits heute setzt das französische Unternehmen darum auch auf das Konzept der «vier R» im Nachverkauf: «Réparer, Réutiliser, Recycler, Réduire». Zu «Reparieren» gehören etwa eine Garantie für Reparaturen in den eigenen Werkstätten und für eine Reserve an dazu nötigen Ersatzmaterialien.
In diesen Aktionsbereich gehören auch Videoanleitungen und Pflegetipps für die Langlebigkeit, die im Netz stehen und aufgrund der Artikelnummer abgerufen werden können. Seit Herbst 2022 nimmt Decathlon zudem im Rahmen des Buy-Back-Services benutzte Sportausrüstungen zum Wiederverkauf zurück und entschädigt die Kunden dafür finanziell.
In Sachen «Réutiliser» (also «Wiederverwenden») baut das Unternehmen seit einigen Jahren Secondhand-Märkte in den Filialen auf. Zudem hat es Projekte zur Langzeitvermietung und «Geräte-Abos» in verschiedenen Ländern lanciert, neuerdings auch in der Schweiz.

Recycling-Netz mit Texaid

Für den Bereich Recycling beteiligt sich Decathlon an Partnerschaften – aktuell etwa mit der Schweizer Firma Texaid. Ziel: ein europaweites «innovatives Sortiersystem 4.0», das so genanntes Faser-zu-Faser-Recycling ermöglicht.
Und schliesslich sind unter «Réduire» (soll heissen: beim Kauf bewusst die Auswirkungen auf die Umwelt reduzieren) die Kunden angesprochen: Decathlon gibt den Artikeln Umweltnoten auf einer Skala von A bis E, um eine Vergleichsmöglichkeit innerhalb des Sortiments zu schaffen. Für die Schweiz gibt es die Skala zurzeit allerdings noch nicht.
Neben all diesen langfristig angesetzten Projekten sind es manchmal auch kleine Innovationen, die eine Art motivierende Vorbildfunktion erfüllen: Seit neuestem hat Decathlon für die Running-Kunden eine innovative Lösung für die Wegzehrung im Angebot: den Gel Pod.
Während Sportler bisher ihre Verpackungen für Snacks, die im Lauf eines Marathons verspeist wurden, entweder am Wegrand «entsorgen» oder im engen Sportkostüm mittragen mussten, entfällt der Müll beim Gel Pod komplett. Die Kapseln mit den stärkenden Substanzen sind (ähnlich wie bei den Coffee-B-Bällchen der Migros) von einem essbaren Algenmantel umhüllt und können vollständig geschluckt werden.
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Snack für Rennsportler, ohne Verpackung: Gel Pod von Decathlon | Bild: PD Decathlon
Für die Erfindung erhielt Decathlon den Reveal Innovation 2022 Award für Öko-Design.
In der Decathlon-Designschmiede in Passy ist man stolz auf diese hauseigene Innovation. Und die Befriedigung durch neue Ansätze und Leistungen für die Nachhaltigkeit ist bei den Mitarbeitern durchwegs zu spüren. Die grüne Wende im Unternehmen setzt offensichtlich Kreativität frei, die wiederum eine grössere Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit zur Folge hat. Das ist zumindest ein positives Zwischenresultat.

Kommt die Kreislaufwirtschaft?

Aber wird das Unternehmen seine Vorstellungen von einer Kreislaufwirtschaft umsetzen können? Der Sportartikelriese Decathlon hat Einiges aufgegleist, um den Zug in Richtung nachhaltiger Zukunft nicht zu verpassen. Wie viele andere Unternehmen hat er sich ambitionierte Ziele gesetzt, allerdings mit einem weiten Zeithorizont.
Fragen bleiben: Genügt das bisher Geplante? Kommt es rasch genug oder lässt man sich zu viel Zeit? Wie reagiert die Kundschaft? Und können die Unternehmen mit den neuen Geschäftsmodelle wie Vermieten, Wiederverwenden, Wiederverkaufen (genügend) Geld verdienen?
Nur eines ist klar: Konzerne wie Decathlon werden in einigen Jahren an ihren heute ausgesprochenen Verpflichtungen gemessen werden – von der Öffentlichkeit und von der Kundschaft. Gleichzeitig hängt es ebenso von den Kunden wie von der Wirtschaft ab, ob diese die «grüne Wende» schafft.
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