Migros: Kommentare zum Rücktritt von Fabrice Zumbrunnen

Frustriert, engagiert – oder gar gefeuert? In Medien und bei Insidern finden sich vor allem zwei glaubwürdige Erklärungen zum Paukenschlag beim MGB.

26.10.2022
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Wann ist es genug? Fabrice Zumbrunnen in einem TV-Interview fürs welsche Fernsehen RTS unmittelbar nach Amtsantritt im Frühjahr 2018   |   Bild: RTS, Screenshot.
Was war da los? Wer in den Schweizer Medien nach Erklärungen für den – äusserlich überraschenden – Rücktritt von Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen sucht, findet vor allem drei Deutungen.
  • Version 1: Fabrice Zumbrunnen schmeisst den Bettel hin, weil er zermürbt ist von starrköpfigen Regionalfürsten.
  • Version 2: So what? Da sucht ein 52-Jähriger Manager nach fünf Jahren im selben Amt nochmals eine neue «Challenge». Ein ganz normaler Vorgang.
  • Version 3: Fabrice Zumbrunnen wurde gefeuert, weil er die Migros in eine Notlage gesteuert hat.
Kurz: Die Auswahl an Erklärungen ist fast so bunt wie die Kassenzone im Supermarkt.
Die These, wonach sich Zumbrunnen an den Regionalfürsten aufrieb, wird etwa von «Le Temps» vertreten – und am engagiertesten von den Tamedia-Zeitungen: «Zumbrunnen tritt in Wahrheit zurück, weil er es nicht mehr erträgt, dass ihm die zehn Regionalgenossenschaften der Migros ständig reinreden und auch unter sich uneins sind», so der entsprechende Artikel: «Es war für Fabrice Zumbrunnen eine Mission Impossible», sagt ein Insider. «Er konnte wegen der komplexen Struktur der Migros nur bedingt Einfluss nehmen. Er trägt aber die Gesamtverantwortung und musste immer für alles den Kopf hinhalten.»
Zumbrunnen, so die Darstellung weiter, forderte Straffungen quer durch alle Regionen, um angesichts schrumpfender Margen die Effizienz zu steigern – doch damit lief er auf.

«Doch so kam es nicht»

Ähnlich interpretiert Detailhandels-Experte Andreas Güntert die Lage in der «Handelzeitung»: Er würdigt Zumbrunnen als erstaunlich entschlossenen Sanierer am MGB-Hauptsitz – der aber dann, in einer zweiten Phase, mit ähnlichen Plänen auf regionaler Ebene festlief. «Stark gestartet, stark zermürbt», so der Titel.
Konkret schreibt die «HZ»: «Das mutmassliche Kalkül in den ersten zwei Zumbrunnen-Jahren: Wenn sich die Zentrale in Zürich einen Ruck gibt, dann werden sich im Gegenzug auch die zehn Genossenschaften einen Ruck geben. Sprich: Was an Ineffizienz im Zürcher Turm ausgeräuchert wird, soll so auch in allen anderen Landesteilen geschehen. Doch so kam es nicht. Die Chefs der grossen Genossenschaften blieben mächtig, machten weiterhin ihr eigenes Ding und übernahmen von der Zentrale auch das wichtige Fachmarktgeschäft.»
Aber gerade in der aktuellen Markt-, Preis- und Konkurrenzlage – so die Darstellung weiter – wären Effizienzsteigerungen nötiger denn je. «Im laufenden Jahr, so zeigen Zahlen, die der ‹Handelszeitung› vorliegen, performen die Coop-Supermärkte besser als jene der Migros.»
Einen anderen Aspekt – Version 2 – betonen unter anderem die «Neue Zürcher Zeitung» und die AZ Medien. «Der gebürtige Jurassier ist erst 52 Jahre alt, allerdings schon seit insgesamt 26 Jahren bei der Migros-Gruppe tätig. Da mag er den Zeitpunkt als günstig erachtet haben, um beruflich nochmals etwas Neues zu wagen», schreibt etwa die NZZ.
Verwiesen wird dabei aufs gestrige Communiqué aus der MGB-Zentrale; die Formulierungen dort lassen ahnen, dass Zumbrunnen bereits eine ganz konkrete Job-Alternative hat.
Nach dieser Interpretation ist er also weniger ein Manager, der frustriert hinschmeisst – sondern einer, der es nicht als Lebensziel ansah, auf seinem Sessel pensioniert zu werden.

«Ich habe keine Emotionen»

Das Lob im Communiqué und die Tatsache, dass Zumbrunnen noch bis im April im Amt bleibt, liessen «nicht auf ein plötzliches Zerwürfnis schliessen», kommentiert die «Aargauer Zeitung».
Und weiter: «Er habe nie wirklich glücklich gewirkt in seiner Chef-Rolle, sagt einer, der oft mit Zumbrunnen zu tun hatte. Er sei distanziert gewesen, sei immer mit angezogener Handbremse gefahren. ‹Ich habe keine Emotionen›, sei seine Standardantwort gewesen, ganz so, als ob er sich mit allem arrangieren könnte. Und so überrascht es nicht, dass Mitstreiter von seinem Rücktritt in der Presse erfahren mussten. Andererseits sind fünf Jahre als CEO in der Privatwirtschaft keine Seltenheit.»

«Die Lage ist dramatisch»

Die dritte Version schliesslich findet sich in «Inside Paradeplatz», dem oft gut, aber nicht immer präzise informierten Finanzplatz-Medium.
Der Titel besagt schon allerhand: «Migros auf Titanic-Kurs: CEO-Absetzung in höchster Not». Auch hier werden anonyme «Insider» zitiert, etwa mit dem Satz: «Meines Wissens sind derzeit alle Genossenschaften rot.»
Und weiter: «Kapitän Zumbrunnen war laut einer anderen Quelle die komplette Fehlbesetzung. ‹Er hat nichts hingekriegt, keine einzige markante Weichenstellung›, so die Auskunftsperson. ‹Nada.›» Und schliesslich: «Die Lage ist dramatisch. Die Entlassung von Zumbrunnen geschah offenbar in höchster Not. Ein Neuer muss den fetten, trägen Konzern in Windeseile fittrimmen.»
Gescheitert, weil er nichts hingekriegt hat? Dieser Sichtweise widerspricht allerdings, dass Migros-Präsidentin Ursula Nold im Communiqué gerade Zumbrunnens Weichenstellungen ausführlich hervorhebt: «Unter seiner Führung hat der MGB insbesondere das Unternehmensportfolio bereinigt, die Führungsposition der Migros-Gruppe im Schweizer Online-Handel ausgebaut und den Auf- und Ausbau des Bereiches Gesundheit vorangetrieben», heisst es da etwa.
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