Kultiviertes Fleisch käme den Wenigsten auf den Teller
In der Schweiz gibt es enorme Widerstände gegenüber Neuerungen wie In-vitro-Food und Pilzkaffee. Wie können Handel und Industrie also reagieren? Das GDI hat Vorschläge.
4.12.2023letzte Aktualisierung: 3.09.2024Etwa so stellt man es sich wohl vor: KI-Darstellung von kultiviertem Fleisch | Bild: Konsider, erstellt mit Midjourney.
Fleisch ist Fleisch. Genau besehen gibt es kaum Unterschiede zwischen einem Steak aus dem Schlachthof und einem Steak, das aus Rinds- oder Hühnerzellen im Labor kultiviert wurde. Ausser dass beim letzteren kein Tier leiden musste und dass die Klimabilanz womöglich besser ist.
Soweit jedenfalls das Versprechen, mit dem Startups und Handel das so genannte «kultivierte Fleisch» auf den Markt bringen wollen.
Die Frage ist bloss, ob das verfängt. Das «Laborfleisch» weckt jetzt schon politischen Widerstand, und in Deutschland zeigte eine Umfrage im Herbst 2023, dass momentan höchstens knapp ein Drittel der Menschen so etwas auf ihren Teller lassen würde.
Ähnliches gilt offenbar auch in der Schweiz. Laut einer neuen Erhebung, durchgeführt vom Gottlieb Duttweiler Institut, ist es für 66 Prozent der Menschen hierzulande eher unwahrscheinlich, dass sie Laborfleisch probieren würden. Nur gegenüber Insekten sowie gegenüber Kaffee aus Pilzen wäre die hiesige Kundschaft noch misstrauischer als gegenüber dem In-Vitro-Fleisch.
- Christine Schäfer, Petra Tipaldi, Johannes C. Bauer: «Gutes Gewissen aus dem Labor? So steht es um die Akzeptanz von kultiviertem Fleisch», GDI Studie Nr. 54, Dezember 2023.
- doi.org/10.59986/LIXI3222
Offenbar ist die hiesige Kundschaft auch im internationalen Vergleich recht skeptisch gegenüber dem Geschnetzelten aus der Petrischale. So würden 45 Prozent der US-Amerikaner Fleisch aus dem Labor probieren – in der Schweiz sagen das nur 20 Prozent. 15 Prozent sind hierzulande noch unentschlossen.
Kein Tech, keine Insekten
Die GDI-Erhebung wurde im Mai bei einem repräsentativen Sample von 1000 Personen durchgeführt, und sie suchte allgemein nach Haltungen gegenüber «Novel Food». Dabei zeigte sich ein Muster: Nahrungsmittel mit einer starken Tech-Komponente (wie Laborfleisch, Genfood oder präzisionsfermentierte Produkte) stossen eher auf Widerstand. Was als natürlich wahrgenommen wird (wie Algen und alternative Proteine aus Pflanzen), wird eher geschluckt.
Die Ausnahme bilden allerdings die Insekten. Sie sind natürlich, auch stehen sie in vielen Kulturen seit Jahrtausenden auf dem Speiseplan. Doch in Europa gibt es starke kulturelle Barrieren.
Grafik: GDI, aus der zitierten Studie.
Sowohl die Migros als auch Coop haben in die Entwicklung von Zellkultur-Fleisch investiert. Was also tun, damit diese Produkte nicht liegen bleiben, wenn sie ab etwa 2030 auf den Markt kommen?
Laut dem GDI-Team braucht es dazu Bildung, Information, Verfügbarkeit und einen Preis, der ähnlich ist wie beim Fleisch vom Schlachthof.
«Die meisten KonsumentInnen möchten für kultiviertes Fleisch nicht mehr bezahlen als für Fleisch von Tieren», so der Report: «Hier könnte ein Paradigmenwechsel wie die Einführung von True Prices der Verbreitung helfen: durch den Einbezug von sozialen und ökologischen Kosten würde tierisches Fleisch teurer, kultiviertes Fleisch günstiger.»
Erst Mischprodukte
Ferner könnten Innovatoren eine Rolle bei der Einführung neuer Lebensmittel spielen. Das heisst: Fleisch aus zellulärer Landwirtschaft würde zuerst zum Lifestyle einer Avantgarde, welche das positive Image dann in breitere Zielgruppen tragen würde.
Dieser Ansatz zeigt sich auch bei den frühesten Markteinführungen in den USA: Die ersten Unternehmen, die dort eine Bewilligung zum Verkauf von kultiviertem Fleisch erhielten – Upside Foods und Good Meat – wollen ihre Produkte nicht etwa bei Walmart lancieren; sondern sie starten in der gehobenen Gastronomie.
- Das Laborfleisch gerät in den Kulturkampf: Während die Gentechnologie einst von links kritisiert wurde, wird In-Vitro-Fleisch jetzt von rechts bekämpft.
- Laborfleisch: Jetzt kommt die Flurbereinigung. In den letzten Jahren flossen Milliarden in die Entwicklung. Nun aber folgt eine Durststrecke.
Die GDI-Studie schlägt ferner vor, zuerst hybride Produkte auf den Markt zu bringen: Diese bestünden aus einer Mischung aus pflanzlichem und kultiviertem Fleisch, sie würden also die Akzeptanz und Verfügbarkeit von plant-based Proteinen mit dem tierischen Geschmack von Laborfleisch kombinieren.
Ferner dürften die Fast-Food-Ketten zu einem Multiplikator des neuen Angebots werden, sobald kultiviertes Fleisch in grossen Mengen und zu einem erschwinglichen Preis verfügbar ist.
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