Eine
schlechte Nachricht zum Thema nachhaltiges Einkaufen lieferte unlängst Emmi: 13 Millionen Franken musste der Luzerner Milchverarbeiter in der Bilanz 2022 abschreiben, weil die deutsche Biomilch-Tochter Gläserne Molkerei Schwierigkeiten hat. «Ausserplanmässig» sei die Wertberichtigung. Von «strukturellen Marktveränderungen» ist die Rede.
Was wohl heisst, dass der Biomilch-Markt in Deutschland grundsätzlich angeschlagen ist.
Seit dem vergangenen Jahr ist es in ganz Europa offensichtlich: Das Nachhaltige in den Sortimenten kann nicht mehr so leicht an die Kundschaft gebracht werden wie zuvor – Inflation und Wirtschaftssorgen ermuntern zum Sparen. Auch in Schweizer Supermärkten greift man wieder stärker zu günstigen Eigenmarken wie M-Budget oder Prix Garantie. In Europa
kündigen sich Ultra-Discounter an, die selbst Aldi und Lidl wie Edelboutiquen aussehen lassen.
Gewissen oder Geldbörse
Im Kleiderhandel wachsen Billigheimer wie Shein (online) oder Takko und Pepco (stationär). Shein hat Zara und Zalando in Europa bei den Verkaufszahlen inzwischen überholt, obwohl es
Kritik für sein unsauberes Verhalten – gegenüber Arbeitern und der Umwelt – hagelt.
Es gibt also einen Graben zwischen einer öffentlichen Rhetorik, die Nachhaltigkeit als Wunsch der Kunden feiert, und dem Verhalten derselben Kunden in den Läden.
Das ist kein Widerspruch: Der Mensch wird sowohl vom Gewissen wie von der Geldbörse gelenkt. Und aus diesem Konflikt tritt momentan ein Wirtschaftssektor als Sieger hervor, den man früher gerne in die «alternative» Schublade schob: Der Secondhand-Markt – als Teil der in den letzten Jahren oft geforderten Kreislaufwirtschaft.
Und mit ihm weitere «nachhaltige» Handelsformen wie der Verkauf «geretteter» Lebensmittel.
1. Lösung: Der Secondhand-Boom
Der Trend zeigt sich etwa im Wachstum der
Schweizer Auktionsplattform Ricardo für 2022. Deren Teilnehmer würden «bei einer neuen Anschaffung vermehrt auf eine Secondhand-Alternative setzen».
Die Boston Consulting Group (BCG) stellt in
einer aktuellen Übersicht fest, dass sich der Gebrauchtwarenmarkt weltweit in den letzten zwei Jahren nach Verkaufszahlen verdreifacht hat. Besonders beliebt sind Luxusartikel, wie auch die Investition des Secondhand-Riesen Ebay in den Premium-Anbieter Cudoni zeigt, die diese Woche
bekannt wurde.
Und erst letzte Woche machte Migros seine
Beteiligung am Startup Revendo publik, das Elektronikgeräte mit Erfolg aufbereitet und wieder verkauft.
2. Lösung: Vermietung statt Verkauf
Migros, die Nummer 1 in der Schweiz,
unterstützt die Mietplattform Yuno seit letztem Jahr mit einem Millionenzustupf und macht damit klar, dass es auf diese Form des nachhaltigen Handels setzt. Für Aufsehen sorgte im letzten Jahr zudem der Sportartikelriese Decathlon in Belgien, der in Zukunft einen grösseren Teil des Umsatzes
durch Vermietung erzielen will.
3. Lösung: Reparieren statt entsorgen
Die Zahl von Händlern, die Reparaturdienste anbieten, nehmen zu. Auch hier vorne dabei: Decathlon, das seit 2022 «Reverse Shopping» anbietet: Sportgeräte, die nicht mehr gebraucht werden, können in die Filialen zurückgebracht werden, wo sie geflickt und preisgünstig weiter verkauft werden.
Selfridges, ein Flaggschiff unter den britischen Warenhäusern, führte 2022 im Rahmen seines
Projects Earth einen
Reparaturdienst ein. Und die zum japanischen Konzern Fast Retailing gehörende Marke Uniqlo
tut dasselbe in einer Filiale in Berlin.
4. Lösung: Weniger Waste
Auch im Food-Rayon scheint die Fusion aus Sparsamkeit und Nachhaltigkeit zu gelingen. Das Unternehmen Too Good To Go (TGTG), das Esswaren vor Ablauf der Haltbarkeit günstig verkauft,
meldete kürzlich eine Zunahme der Verkäufe um 50 Prozent in der Schweiz zwischen Ende 2020 und 2022.
Und kürzlich hat der Discounter Lidl begonnen, frische Lebensmittel, Rettersäckli und -boxen anzubieten, um Lebensmittelverluste zu vermeiden.
Krisen bergen Chance zur Veränderung
Alle diese Meldungen können sich als Schwalben erweisen, die noch keinen Frühling machen. Was, wenn sich der Konjunkturhimmel für die breite Bevölkerung wieder aufhellt, die Wirtschaft Auftrieb erhält und die Inflation weggeblasen wird?
Die heute zu beobachtenden Trends hin zu sparsamerem Konsum oder zu nachhaltigerem Einkaufsverhalten wären unter Umständen schnell vergessen. Möglich wäre ein Rückfall in die alten hedonistischen Muster.
Dennoch: Es scheint heute, dass Krisen, wie wir sie in den letzten drei Jahren erlebt haben, grundsätzliche Verhaltensänderungen mit sich bringen können. Covid etwa förderte digitale Bezahlformen und E-Commerce – selbst bei Skeptikern. Die Energiekrise bringt Alternativen wie Solarkraftwerke in den Alpen auf den Tisch, deren Pläne zuvor nicht vom Fleck kamen.
Gewöhnung an neue Handlungsformen
Die Inflation lässt Konsumenten auf qualitativ wertige, aber günstigere Alternativen ausweichen. Das können Eigenmarken in Supermärkten sein. Aber auch etwa gebrauchte Artikel aus dem Brockenhaus oder von der Secondhand-Plattform.
Wer sich einmal daran gewöhnt hat, Gebrauchtwaren einzukaufen, wird auch dann damit fortfahren, wenn das Geld wieder lockerer in der Tasche liegt. Wer merkt, dass Lebensmittel von Too Good To Go keinen Abstrich an Lebensqualität bringt, greift gern weiter zu, um zu sparen – obwohl dies nicht mehr nötig wäre.
Was bedeutet das für die Branchen Handel und Herstellung von Konsumgütern?
Drei Massnahmen für Unternehmen
- Disruptives Denken und daraus resultierende Innovationen fördern. Wer vor 10 Jahren gesagt hätte, die Vermietung von Sportartikeln könnte ein gutes Geschäft werden, wäre in einem auf Verkauf getrimmten Konzern geköpft worden. Heute sind solche Ideen gefragt.
- Mitarbeiter einbeziehen, die näher beim Kunden stehen. Aus dieser Warte entspringen oft neue Geschäftschancen. Chefs müssen zulassen, dass ihre Unterstellten ihr Querdenken pflegen und nicht nur in den klassischen Kategorien von Gewinn und Verlust denken. Was Mitarbeiter frustriert: Wenn Ideen etwa in Form von Startups lediglich eingekauft und dem Unternehmen einverleibt werden.
- Trial&Error forcieren. Hundert Mal probiert, nur einmal geklappt: Auch das kann eine Firma vorwärtsbringen. Solange die Kostenfolgen unter Kontrolle bleiben, sind Versuche in kleinem Rahmen gegenüber aufgeblasenen Lancierungsaktionen vorzuziehen. Aufblasen bei Erfolg geht später immer noch. Die viel gelobte und kaum gelebte Fehlerkultur muss real werden.